Sonntags:Familien:Spazier:Gänge meiner Kindheit und frühen Jugendzeit beinhalteten eine gnadenlose Lange:Weile.
Die gebetsmühlenhaft wiederholte Frage „Ist es noch weit?“ wurde mit vermeintlichen Informationen gestopft.
„Etwa ein Viertel:Stündchen noch.“
„Es liegen nur noch sieben Kurven vor uns.“
„Je mehr Du fragst, desto länger dauert es.“
„Hier gibt es soviel zu sehen, Gras und Wolken z.B., das ist doch auch interessant.“
„Da will man Dir etwas bieten und Du hast die Chance etwas zu lernen. Das ist also der Dank.Nur wegen Dir machen wir uns diese Mühe.“
„Wenn Du aufhörst zu fragen, gibt es später eine Limo.“
Ich habe seit Wochen das Gefühl von „täglich grüßt das Murmeltier“. In einer Endlos:Schleife eines kindlichen Ausflugs zu sein. Ausgeliefert. Machtlos. Gleichzeitig voller Vertrauen und Hoffnung auf ein gutes Ende.
Bin in einem zeitlichen Rück:Wärts:Sprung. In meiner Kindheit gingen wir als Familie an den Sonntagen spazieren. Im wohlgefüllten Rücksack auf den väterlichen Schultern warteten Schinkenbrote und Limonade (Tritropp im familiären Sprachgebrauch) auf eine gemütliche Vesper.
Eine Einkehr war selten. Ausnahmsweise ein Eis oder eine Limo an einem Büdchen am Fluss.
Die Pandemie:Bedingungen erinnern mich an diese Kindheits:Sonntage. Ist für eine gewisse Zeit nicht das Schlechteste. Wäre jedoch auch sehr bereit zur Einkehr!!!
Eine Begleit:Erscheinung der Pandemie ist bei mir der Rückgriff auf Alt-Vertrautes. Nach vielen Jahren habe ich erstmals wieder einen Marmorkuchen gebacken. An den Nachmittagen gibt es nun in der kleinen Hausgemeinschaft Kaffee&Kuchen.
In meiner Kinder- und Jugendzeit wurde jedes Wochenende gebacken, gerne in „Zusammenarbeit“ mit Dr. Oetker. Die Rezeptseiten von „Apfelkuchen, sehr fein“ und „Königskuchen“ fallen auch heute noch im Back:Buch automatisch auf, getränkt von Butter- und Milchflecken.
Es tut wohl, sich zurückzubinden in einer unsicheren Zeit.
Men Elternhaus teilte sich durch Treppenhäuser auf. Eine Wohn:Etage und eine Schlaf:Etage. Auf den Stufen liegt immer etwas, was auf seinen Weitertransport in eine andere Etage wartet. Sobald sich ein Kind im Flur aufhält, ist der mütterliche Rufe zu hören: „Kein Leer:Lauf“. Wir sollen etwas mitnehmen und dann richtig wegräumen. Diesen Ruf zu hören, diese Aufforderung haben wir gehaßt. Unbemerkt wegschleichen klappt manchmal. „Ja, mach´ich!“ zu rufen, OHNE etwas mitzunehmen, gelang hin und wieder, wird jedoch meist entdeckt.
Heutzutage unternehme ich immer noch viel, um mir einen Leer:Lauf zu gönnen und zu spüren. Und der mütterlichen Ermahnung ein Schnippchen zu schlagen!
Die Redewendung jemandem ein Schnippchen schlagen trägt die allgemein bekannte Bedeutung ›(…) vereiteln, einen Plan durchkreuzen; jmdn. übertölpeln, ihm einen Streich spielen‹. (…) Beim sogenannten Schnippchenschlagen wurde mit den Fingern geschnalzt bzw. geschnippt, und auch, wenn die Geste im Allgemeinen nicht durch Worte begleitet wurde, vermittelte sie doch die Bedeutung: »Nicht so viel gebe ich auf dich, auf deine Meinung; ich fühle mich dir so überlegen, dass ich auf dich nicht viel gebe«. Für diese Gebärde entstand schließlich deren Bezeichnung ein Schnippchen schlagen, die schon seit Beginn des 17. Jahrhunderts belegt ist; (…) Quelle: https://gfds.de/jemandem-ein-schnippchen-schlagen/
Fühle mich wie in der (Gefühls-)Grundschule. Ein Kind, das man nie mochte, wird unerwartet zu einem Freund/einer Freundin. Der schwierige Kumpel namens UNGEMACH hat einen neuen Freund. Er heißt GEMACH.
Tagtäglich gibt es Momente von Verlustangst, ich bin in einer Dauererwartung und Anspannung. Der vermeintliche Schutz besteht aus mehreren Strategien: schneller sein als ein möglicher Verlust, weg zu sein, bevor es zum Verlust kommt, Mißtrauen und Selbstrücknahme. Sowohl die passiven als auch die
aktiven Verluste sind schwärende Wunden und ich nehme alles persönlich, um in
Schuldgefühlen abzutauchen.
Meine Idee für eine Umkehrhaltung:
Ich distanziere mich von den früheren Verlusten, wenn mir etwas Ähnliches anmutet, lasse ich das Gefühl dazu frei und enthülle die Muster.
Maßnahme 1: Distanz zur Erinnerung herstellen
Meine Eltern, Kriegskinder, waren einem Gewitter an Tragödien und Verlusten ausgesetzt. Auf mir, der Erstgeborenen, bildete sich alles ab, Todesfälle, Trauma, Verluste, schwerwiegende Entscheidungen. Die Eltern hofften, dass ich, weil ein Kind, alles vergessen würde.
In mir aber sammelte sich die Gewissheit, dass ich nicht bei geliebten Menschen bleiben darf, dass niemand bei mir bleibt, und ich immer elternseelenalleine in die Fremde geschickt werde…
Und eines späteren Tages begann ich selber, Fremdheit und Heimatlosigkeit in meinem Leben zu erzeugen, stellte das kindliche Erleben ständig nach. Entfremdete mich von mir, von meiner Familie, von Beziehungen, Arbeitsstellen und Regionen. Das tue ich zum Teil bis heute.
Diese distanzierte, auffallende Haltung wirkt auf andere eher „chic & frei“ und man nimmt an, ich sei eine starke, ausdrucksvolle Persönlichkeit. Mein Erleben hingegen: misstrauische Entfremdungen und ansehnliche Angstberge, auszehrende Wiederholungen, nicht immer kann ich schnell weg sein, bevor ein Verlust mich einholt.
Ja, ich habe Schlimmes erlebt und meinen Eltern hatten nicht die für mich richtigen Ideen für meinen seelischen und körperlichen Schutz, aber wie kitte ich heute diese Wunden? Ich möchte diese fatalen Türme zum Einsturz bringen. Ich spüre, dass die Verlustangst auf dünnerem Eis steht und setze eine neue Lichtbojehttps://diamantwoerter.blog/2019/02/20/lichtbojen/Lichtboje:
die Sanftmut.
Maßnahme 2: die Sanftmut
Mut trägt viele Kleider. Ich dachte immer, wenn ich mich aggressiv und wehrhaft einkleide, hätte ich eine schützende Form
entwickelt. Das liegt aber nicht in meinem
Wesen.
Lausche lange dem Wort Sanftmut
nach und binde mir einen erstaunlichen Mut-Strauß zusammen:
Lebens:MUT
An:MUT
Gleich:MUT
Groß:MUT
De:MUT
Über:MUT.
Ich bin ein MU_TIGER Mensch, brauche mich nicht
vor Verlusten und anderen Popanzen
zu fürchten.
Mein MUT ist anders, aber sehr stark. Das macht mich frohgemut!!